WELL TALK: Sergiusz Osmański: „Polnische Geschäftsfrauen wollten früher wie Pamela Anderson aussehen, heute gestalten sie ihr Image bewusst.“

Rote Lippen, ein ausdrucksstarkes Smokey Eye und der Duft von „Poison“ – so erinnert sich Sergiusz Osmański, Art Director von Sephora Polen, an den Stil von Geschäftsfrauen in den 1990er-Jahren. Heute sei Business-Make-up keine Maske mehr, sagt er, sondern ein bewusstes Statement, mit dem Frauen ihr Image gestalten. Wir sprechen über die Entwicklung des Make-ups für Frauen in Polen, die Macht der sozialen Medien und die Suche nach der eigenen Persönlichkeit.
Aleksandra Nagel - Well.pl: Wie unterscheidet sich die Persönlichkeit einer modernen Geschäftsfrau von der vor drei oder vielleicht sogar vier Jahrzehnten?
Sergiusz Osmański: Tja, genau das ist ja der Punkt! Ich bin einfach ins Jahr 1992 zurückgereist... (Gelächter)
Sehr gut, und was sehen Sie dort?
Margaret Astor, die in jenen Jahren die ersten Make-up-Shows in Polen organisierte, nahm an diesen Treffen teil, und auch die polnischen Modedirektoren, die man damals praktisch an einer Hand abzählen konnte, waren anwesend.
Welchen Stil hatten sie?
Nun, es gab viele Widersprüche in ihnen. Einerseits wussten sie, dass sie nicht in einer Spitzenbluse und mit neonfarbenem Nagellack ins Büro kommen konnten, aber andererseits liebten sie diese Blau- und Fuchsiatöne, diese gewagten Make-up-Looks, den ganzen Glamour der 90er Jahre!
Wollten sie wie Katarzyna Figura aussehen?
Absolut! Und nach dem Schminken blickten sie ungeschminkt in den Spiegel und fragten sich: „Warum so wenig?“ Andererseits ging es ihnen nicht um Individualität – sie wollten einfach nur modisch aussehen. Die Modemagazine jener Zeit konzentrierten sich ausschließlich darauf, Trends in kopierten Formaten darzustellen. Spricht man mit einem Visagisten oder Friseur aus dieser Ära, wird man hören, dass es eine Zeit war, in der Looks direkt aus den Magazinseiten kopiert wurden. Frauen rissen Seiten heraus und sagten: „Ich will die Farbe von Penélope Cruz, ich will das Make-up von Pamela Anderson aus diesem Shooting.“
Maria McDonald in den 1980er Jahren. Foto: Anthony Barboza / Getty ImagesKannten sie die Kleiderordnung?
Vor allem wollten sie wie ein Coverstar aussehen. Es lief ungefähr so: „Ich weiß, ich soll einen Anzug tragen, aber warum kann der nicht mit Goldstickerei verziert sein und einen goldenen Knopf haben?“ Dasselbe passierte beim Make-up: „Ich verstehe, dass ich im Business-Look meine Augen betonen und meine Lippen natürlich lassen sollte, aber ich bin die Geschäftsführerin. Ich habe die Macht. Warum darf ich nicht rote Lippen im Büro tragen?“
Gab es welche, die sie trugen?
Sie waren, was sie trugen, also brodelte alles in einem ästhetischen Kessel…
Gleichzeitig stellten sie in der von Männern dominierten Geschäftswelt immer noch eine Minderheit dar.
Genau. Einerseits wollten sie sich „entweiblichen“, andererseits sehnten sie sich auch nach Weiblichkeit. Daher die roten Lippen bei Geschäftsverhandlungen.
Cybill Shepherd in der Serie MOONLIGHTING (1986). Foto: ABC Photo Archives/Disney General Entertainment Content/Getty ImagesHeutzutage macht rote Lippenstifte im Business-Stil nicht mehr so einen Eindruck?
Heute nehmen wir Menschen in solchen Positionen völlig anders wahr. Die Verhältnisse haben sich verschoben, aber wir legen auch Wert auf die Freiheit der Selbstentfaltung. Deshalb beeindruckt es uns nicht mehr, ob der CEO mit einem Lidstrich à la Amy Winehouse oder roten Lippen wie Paloma Picasso auftritt.
Aber muss sie Make-up tragen oder nicht?
Muss.
Ich frage dies im Kontext des allgemeinen Trends zu Natürlichkeit – kein Make-up, Minimalismus, graue Haare…
Heute ist es keine Pflicht mehr, sondern Ausdruck von Selbstbewusstsein. Es muss nicht unbedingt Make-up sein, das als Belastung, als „Spachtel“ oder als bloße Nachahmung von Instagram-Ästhetik empfunden wird. Vielmehr geht es um eine Kombination aus Hautpflege und Make-up. Eine Frau in einer Führungsposition versucht, durch ihr Make-up eine bestimmte Ästhetik zu vermitteln.
Claudia Schiffer bei der Dior-Show 1995. Foto: Pool ARNAL/PICOT/Gamma-Rapho / Getty ImagesUnd wie sieht es mit Männern in Führungspositionen aus? Hat sich deren Kleiderordnung im Geschäftsleben ebenfalls verändert? Fragen zu Make-up und Maniküre bei Männern kursieren ja schon seit einiger Zeit…
Das ist eine lange Geschichte. Historisch betrachtet haben viele Marken versucht, Männer nicht unbedingt zum Schminken zu zwingen, sondern vielmehr ihr Interesse daran zu wecken. Denken wir an das Jahr 1996 und Jean-Paul Gaultier, der eine Kosmetiklinie für Männer auf den Markt brachte. Danach versuchten auch andere Marken, zumindest einige Make-up-Elemente in die Kosmetiktaschen von Männern zu integrieren. Schwarzer Eyeliner für die Wasserlinie kam auf den Markt, um einen Augenaufschlag à la Antonio Banderas oder Johnny Depp zu erzielen. Auch Concealer wurden eingeführt, um die Spuren eines Junggesellenabschieds und reichlich Whiskey zu kaschieren. Dieser Trend setzte sich durch – genau wie die Hautpflege für Männer –, aber ich denke, der Verdienst dafür gebührt weniger den Männern selbst, sondern vielmehr ihren Partnerinnen.
„Poison“ von Dior und „Opium“ von YSL – legendäre Parfums der 90er JahreSprechen wir noch etwas genauer über die Düfte der 90er-Jahre. Sie standen damals noch ganz am Anfang Ihrer Karriere. Wie roch eine polnische Geschäftsfrau Ende des 20. Jahrhunderts?
Die 1990er-Jahre waren der Inbegriff olfaktorischer Individualität. Kein Jahrzehnt davor oder danach brachte so unverwechselbare Düfte hervor. Man denke nur an Diors „Poison“, Thierry Muglers „Angel“ oder YSLs „Opium“. Beim Betreten von Geschäftsgebäuden erfüllte der Duft dieser drei Parfums die Luft, zusammen mit dem maskulinen „Angel“ und Diors „Fahrenheit“. Diese fünf Düfte waren allseits bekannt.
Heute widmen wir uns diesen legendären Düften und kategorisieren sie interessanterweise nicht in Herren- und Damendüfte. Viele meiner Freundinnen greifen wieder zum Klassiker „Fahrenheit“. Männer hingegen, denen es mittlerweile egal ist, dass auf der Verpackung nicht „FÜR MÄNNER“ steht, entdecken „Opium“ für sich.
Es ist bemerkenswert, dass jedes Jahr unzählige neue Düfte auf den Markt kommen. Da kann man kaum noch den Überblick behalten. Glauben Sie, dass in all dem noch Raum für Individualität bleibt?
Ich glaube schon.
Wie steht es mit der Dufttreue?
Oh nein, diese Zeiten sind vorbei. Seit 2014 und dem Aufstieg von Instagram ist es unmöglich geworden, bei Konsumentscheidungen – auch bei Düften – treu zu bleiben. Wir probieren neue Parfums aus, testen sie, aber wir sammeln sie auch. Ein Trend der Duftnostalgie ist entstanden. Jüngere Generationen greifen zu Klassikern. So auch beim Phänomen „Dior Sauvage“. Die Idee hinter diesem Duft war, dass ein Vater ihn seinem Sohn als erstes Parfum vererbt. Das war die Grundlage seines Erfolgs. Heute greift eine neue Generation zu ihm, weil er ein Gefühl von Vaterschaft weckt.
Aufgrund meiner PESEL-Zahl und bestimmter Assoziationen verbinde ich meine Mutter mit dem Duft von „Perhaps“. Man beachte auch, wie viele Konten Kosmetikprodukte zeigen, die nicht mehr hergestellt werden. Kosmetik wird zunehmend als Sammlerstück betrachtet.
„Ich habe das Sagen“ – was sagt das Selbstbild einer modernen Geschäftsfrau aus?Sergiusz, wenn du manchmal in Erinnerungen an die alten Zeiten schwelgst – es tut mir leid, dass ich dich wie einen Dinosaurier bezeichne, aber du hast ja eine Menge Erfahrung…
Das stimmt. (Gelächter)
Lachen Sie manchmal darüber, wie Sie sich die ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts vorgestellt haben?
Ich lache, vor allem weil keiner von uns, die wir so lange in dieser Branche arbeiten, die Freiheit, die wir heute genießen, vorhersehen konnte. Vor dreißig Jahren waren Trends ein Muss. Niemand wagte es, eine andere Farbe als die der Saison in Betracht zu ziehen. Heute sieht man in der U-Bahn oder Straßenbahn ein Mädchen mit perfekt geschminkten orangefarbenen Lippen, daneben ein anderes mit nur Kontur und Foundation, und dahinter ein Mädchen mit einem Pfauenaugen-Make-up direkt aus den 90ern – und alle sehen modern aus. Niemand wird ihnen Zurückhaltung vorwerfen, denn sie haben die Freiheit dazu, weil sie in einer Welt leben, die ihnen offensteht.
Ich frage mich, ob es möglich sein wird, eine solche Freiheit im Geschäftsleben einzuführen?
Ich denke schon. Es passiert ja bereits. Ich erinnere mich an die Geschäftsführerin eines globalen Pharmakonzerns – oder, wie ich sage, der „knallharten“ Branche –, die (ich vermute, sie hatte eine persönliche Stylistin) immer mit verblassten Wimpern erschien. Sie ließ sie sich von niemandem tuschen. Ihr natürliches Make-up, ohne Eyeliner, sah aus wie direkt vom Cover der Vogue.
Sie zog…
Sie war faszinierend. Diese Ästhetik kam ihr zugute. Ich glaube, es war vielleicht sogar ein bewusster Schachzug, so nach dem Motto: „Du bist die Beste. Deine Aussagen sind immer so präzise, dass sie langweilig oder uninteressant wirken könnten, also nutze dein Image, um Aufmerksamkeit zu erregen.“ Das ist ein Beispiel für die Art von Praxis, die Monika Jaruzelska und ich in den 1990er-Jahren in Workshops für „Twój Styl“ demonstrierten.
Make-up bei der Ermanno Scervino SS 2026 Show. Foto: Rosdiana Ciaravolo / Getty ImagesDie Zeiten haben sich also geändert, aber das Image ist nach wie vor wichtig. Stattdessen gibt es ein größeres Bewusstsein für sich selbst – Körpersprache, Aussehen, Make-up und Duft?
Früher diente all das nicht der Imagepflege, sondern der Statusaufwertung. Heute ändert sich das – nicht mehr jede Geschäftsfrau muss eine Prada-Tasche tragen. Sie kann sich ein Vintage-Stück von Hermès oder Chanel zulegen. Oder sie investiert in eine Nischenmarke, die Wert auf Nachhaltigkeit legt. Das ist ihre freie und bewusste Entscheidung.
SERGIUS OTMANSKIEine Pionierin des Make-up-Artist-Berufs in Polen, Trägerin des renommierten internationalen Preises „Beauty Icon“, derzeit künstlerische Leiterin von Sephora Polska.
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